Wer den englischen Linksverkehr scheut, lediglich größere Städte besucht oder von London aus Tagesausflüge unternehmen will, der kommt an der englischen Bahn nicht vorbei. Zwar sind die Züge selbst meist sauber und fahren pünktlicher als die der deutschen Bahn, doch dafür gibt es hier andere Fallstricke zu beachten.
Hintergrundwissen zum Bahnfahren in England
Um das heutige Abenteuer Bahnfahren in England zu verstehen, muss man die Geschichte der heutigen National Rail kennen. Bis 1994 gab es in Großbritannien das staatliche Unternehmen British Rail (analog zur Deutschen Bahn), das den gesamten Bahnverkehr auf der Insel regelte. Unter der konservativen Regierung von Margaret Thatcher wurden in den 1980er Jahren zahlreiche staatliche Betriebe privatisiert, doch die Privatisierung der englischen Eisenbahn erfolgte erst unter ihrem Nachfolger John Major mit der Verabschiedung des Railways Act 1993.
British Rail wurde in über 100 verschiedene kleine Unternehmen zerschlagen, darunter nicht weniger als 25 verschiedene Personenzuggesellschaften. Weil diese nun um Passagiere konkurrierten und ihre Preise zum Teil extrem senkten, erlebte der Zugverkehr einen riesigen Boom. Im Laufe der Zeit hab es zu einer Marktbereinigung und heute teilen sich einige wenige große Unternehmen die wichtigsten Strecken untereinander auf. Die meisten orientieren sich dabei an der Geografie. So bedient das Unternehmen Great Western Railway die Strecken (von London aus gesehen) in westliche Richtung bis nach Cornwall und Wales.
Touristen aus Länder mit einer einzigen staatlichen Eisenbahngesellschaft finden dies meist verwirrend, weil sie nicht wissen, an welches Unternehmen sie sich wenden müssen. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, das Züge zu bestimmten Zielen von mehreren Bahnhöfen abfahren können. Ein Beispiel: Wer von London nach Brighton fahren möchte, kann von Victoria, Blackfriars oder London Bridge abfahren. Bei Umsteigeverbindungen kann es außerdem vorkommen, dass Tickets von zwei verschiedenen Gesellschaften gekauft werden müssen.
Und ganz wichtig: In London ist es bei Umsteigeverbindungen überwiegend erforderlich, den Bahnhof zu wechseln. Wer beispielsweise von Cornwall im Westen kommend zum Flughafen Stansted fahren will, um den Heimflug nach Deutschland anzutreten, wird am Bahnhof London Paddington ankommen und vom Bahnhof Liverpool Street abfahren. Dazwischen liegt dann noch eine Fahrt mit der U-Bahn quer durch die Stadt, für die entsprechend viel Zeit eingeplant werden muss.
Bahnfahrkarten in England kaufen
Da das Bahnfahren in England so unübersichtlich ist, empfiehlt sich die Nutzung einer übergeordneten Website, zum Beispiel von National Rail, der übergeordneten Organisation in der sämtliche Eisenbahngesellschaften Mitglied sind. Neben einem Journey Planner zur Planung der eigenen Bahnfahrt gibt es hier ausführliche Informationen zum Ticketsystem, aktuelle Hinweise zu Störungen und vieles mehr. Der Cheap Fare Finder hilft dabei, die günstigsten Preise für den jeweiligen Tag und die gewünschte Route zu ermitteln.
Für mich ist die Seite TheTrainline seit Jahren die bevorzugte Wahl und mittlerweile gibt es diese Website sogar auf Deutsch. Auf der Startseite werden zunächst Start- und Zielort eingegeben. Hier ist es enorm hilfreich, zum Beispiel „London, Any“ einzugeben, weil dann sämtliche Londoner Bahnhöfe mit in die Suche einbezogen werden. Das gleiche ist auch für andere große Städte möglich, wobei es dann natürlich hilfreich ist, die Namen der jeweiligen Hauptbahnhöfe (z.B. Birmingham New Street oder Manchester Piccadilly) zu kennen. Außerdem werden hier die Daten der gewünschten Fahrten eingegeben (oder ein einzelnes Datum bei einem One-Way-Ticket) und die gewünschte Abfahrtzeit. Anschließend zeigt die Suchmaschine die entsprechenden Verbindungen an.
Dabei tut sich schon bald ein großer Unterschied zu Deutschland auf: Die Suche nach möglichst billigen Fahrkarten ist in England kein heiteres Suchspiel und die Rabatte sind zum Teil beeindruckend hoch. So ist es mir bereits gelungen, ein Ticket für eine über zweistündige Bahnfahrt von London nach Birmingham für £8 zu buchen, also etwa 10 Euro! Die günstigsten Tickets sind natürlich immer schnell vergriffen, doch dank der Liste lässt sich übersichtlich sehen, welche Verbindungen zu welchem Preis zu haben ist. Wer nicht unbedingt auf einen bestimmten Zug fixiert ist, kann hier also viel sparen.
Bei der Buchung können auch Wünsche für die Platzreservierung angegeben werden, z.B. in Fahrtrichtung, am Fenster oder am Gang, etc.. Anschließend wird die Buchung abgeschlossen und per Kreditkarte bezahlt. Die Fahrkarte wird dann als mobiles Ticket per E-Mail geschickt und kann bei der Fahrkartenkontrolle auf dem Smartphone angezeigt werden. Alternativ kann eine klassische Papierkarte mit der Buchungsnummer am Ticketautomaten gezogen werden.
Wissenswertes zum Bahnfahren in England
Eine Beobachtung, die ich seit Jahren immer wieder (neidvoll) in England mache, ist der gepflegte Zustand selbst der kleinsten Bahnhöfe. Sie sind in den Sommermonaten mit Blumenkübeln geschmückt, die Bahnsteige sind sauber und es ist IMMER Personal anwesend, an das man sich bei Fragen wenden kann. Ein Kiosk und Toiletten sind ebenfalls selbstverständlich und machen das Bahnfahren in England für mich weit angenehmer als hierzulande.
Größere Bahnhöfe verfügen über Einkaufsmöglichkeiten, verschiedene Lokale und über kostenlose gepflegte Toiletten. Eine Besonderheit ist hier die Tatsache, dass das Bahngleis meist sehr kurzfristig angezeigt wird. Darum stehen so viele Passagiere in der Halle und starren hingebungsvoll auf die Anzeigetafeln, bis endlich der Bahnsteig für den eigenen Zug angezeigt wird. Dann setzt sich eine kleine Horde in Bewegung.
Der Zugang zu den Bahnsteigen ist in England fast immer nur nach dem Passieren einer automatischen Schranke möglich (gut auf dem Bild von Waterloo Station oben zu sehen). An diese wird das Bahnticket gehalten (oder das Papierticket in einen Schlitz gesteckt), ehe sie sich öffnet. Wichtig: Auch beim Verlassen des Bahnsteigs nach der Ankunft muss wieder eine Schranke passiert werden, die Bahnkarte sollte also verwahrt werden!
Verpflegung im Zug
Speisewagen gibt es in England fast gar nicht mehr. Lediglich First Great Western bietet auf der Strecke von London nach Penzance (Cornwall) noch einen echten Speisewagen mit fein gedeckten Tischen und frisch gekochten Menüs. Ansonsten gibt es meist Buffet Cars, in denen sich diverse Snacks und Getränke kaufen lassen, und den Trolley Service am Platz. LNER, die Eisenbahngesellschaft, die die Strecken zwischen London und Nordost-England und Schottland bedient, kündigte allerdings bereits an, die Buffet Cars ebenfalls abzuschaffen. Stattdessen sollen Passagiere ihre Mahlzeiten dann per Smartphone bestellen und bekommen sie an den Platz gebracht. Besser ist es meines Achtens, einfach vor der Abfahrt Proviant zu kaufen und mit in den Zug zu nehmen.
Bahnfahren in England mit dem BritRail Pass
Für einzelne Fahrten und Ausflüge sind die Einzelkarten der diversen Eisenbahngesellschaften generell die beste Wahl, vor allem, wenn sie zu günstigen Frühbucherrabatten gebucht werden. Wer sich vorher nicht auf einen bestimmten Zug festlegen will, kann ein Anytime Single (einfache Fahrt) oder Anytime Return (Hin- und Rückfahrt) kaufen, die für jeden Zug der betreffenden Eisenbahngesellschaft an einem bestimmten Tag gültig sind. Dies erlaubt mehr Flexibilität, ist jedoch auch um einiges teurer.
Für ausländische Touristen, die England ausführlich erkunden wollen, ist der BritRail Pass die beste Lösung zum Bahnfahren in England. Der BritRail Pass gilt für das gesamte Streckennetz in England, Wales und Schottland unabhängig vom jeweiligen Betreiber der Strecke. Je nach gewählter Preisklasse kann der Flexi Pass an frei gewählten Tagen innerhalb von 30 Tagen genutzt werden. Die Flughafenzüge wie der Stansted Express und Gatwick Express zählen ebenfalls mit. In der günstigsten Variante kostet der BritRail Flexi Pass £116 für Fahrten an 3 Tagen in 30 Tagen, in der teuersten Variante £455 für beliebig viele Fahrten innerhalb eines Monats. Daneben gibt es noch Varianten, die nur für den Großraum London gelten oder für den touristisch beliebten Südwesten.
Wichtig: Sämtliche BritRail Pässe können nur vorab im Ausland (z.B. bei Visit Britain) gekauft werden – in England selbst sind sie nicht erhältlich.
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