Birmingham: Die große Unbekannte

Englands zweitgrößte Stadt Birmingham wird touristisch noch immer gerne übersehen. Sie besitzt weder die Ausstrahlung der großen Metropole London, noch den Ruf der beiden nordwestliche Großstädte Liverpool und Manchester mit ihrer Musik- und Fußballtradition. Dennoch gibt es in Birmingham so einiges zu entdecken, das die Stadt zu einem interessanten Ziel für einen Wochenendtrip macht.

Die Geschichte von Birmingham

Kaum bekannt ist die Tatsache, dass bereits die Römer im heutigen Birmingham eine Siedlung gründeten. Einige Reste sind heute noch im Vorort Edgbaston zu sehen. Die eigentliche Geschichte der Stadt beginnt dagegen erst im Jahr 1166, als Peter de Bermingham die Erlaubnis erhielt, einen Markt vor seiner Burg abzuhalten. Aus dem Marktplatz entwickelte sich schon bald eine florierende Stadt im Herzen der Grafschaft Warwickshire.

Eine kulturelle Blüte erlebte Birmingham im 18. Jahrhundert mit dem eigenen Zeitalter der Aufklärung, dem Midlands Enlightment. Die klugen Köpfe der Epoche zogen wiederum Wissenschaftler und frühe Unternehmer an, die die industrielle Revolution vorantrieben. 1776 erfanden James Watt und Matthew Boulton die erste Dampfmaschine in Birmingham. Im 19. Jahrhundert profitierte die Stadt von einem extensiven System an Kanälen, über die Güter zwischen London, den Midlands und dem Hafen von Liverpool verschifft wurden. Kurz darauf folgten die ersten Eisenbahnlinien.

Birmingham heute

Die Bedeutung von Birmingham als Zentrum der britischen Wirtschaft führte im 2. Weltkrieg zu schweren Bombardierungen der deutschen Luftwaffe. Während des „Birmingham Blitz“ wurden tausende Gebäude zerstört und 2.241 Menschen getötet. Analog zu vielen deutschen Städten wurde Birmingham nach dem Krieg hektisch und vor allem recht hässlich wieder neu aufgebaut.

Ein Beispiel ist das riesige Bullring Centre im historischen Herzen von Birmingham, wo bereits seit dem Mittelalter der erste Markt stattgefunden hatte. Es eröffnete 1964 als Shopping Mall in Form eines riesigen Betonklotzes und wurde später mit einer zweiten Shopping Mall, Grand Central, und dem Bahnhof New Street verbunden. Heute ist vor allem die riesige silberne Fassade des Kaufhauses Selfridges ein beliebtes Motiv.

Neben London war Birmingham ab den 50er Jahren bevorzugtes Ziel von Einwanderern aus den ehemaligen britischen Kolonien des Commonwealth, die die Einwohnerzahlen rasant steigen ließen. Berühmt ist die Stadt für ihr Balti Triangle, drei Straßen, in denen vornehmlich indische Restaurants ansässig sind und köstliches Balti (eine Art von Curry aus Nordindien und Pakistan) servieren.

Warum sich ein Besuch lohnt

Bullring und Balti alleine sind natürlich nicht unbedingt Grund genug für einen Besuch in Birmingham. Die Stadt besitzt jedoch jenseits der hässlichen Betonklötze aus der Nachkriegszeit auch einiges an sehenswerter Architektur und mehrere interessante Museen. Ein besonders empfehlenswertes Ziel sind die Back to Back Houses – Häuser, die sich einen gemeinsamen Hof mit Waschraum und Toiletten teilten. Sie wurden im 19. Jahrhundert gebaut, galten aber schon bald als unhygienisch. Die meisten sind längst verschwunden, doch ein Ensemble (Court 15) zwischen Inge Street und Hurst Street kann heute als Museum besichtigt werden. Die Häuser mit ihren engen Zimmern vermitteln einen Eindruck von den für heutige Verhältnisse unvorstellbaren Lebensbedingungen der damaligen Großfamilien.

Ebenfalls sehr sehenswert ist das Museum of the Jewellery Quarter im Haus eines ehemaligen Juweliers. Die Werkräume sind originalgetreu erhalten geblieben und erlauben einen spannenden Blick in das klassische Handwerk eines Juweliers. Erstes Ziel für Kunstfreunde ist das Birmingham Museum & Art Gallery mit einer beeindruckenden Gemäldesammlung und einigen Räumen zur Stadtgeschichte. Die acht wichtigsten Museen werden gemeinsam als Birmingham Museums betrieben und teilen sich eine Website.

Nordöstlich des Zentrums gibt es mit Aston Hall einen pompösen Landsitz aus dem 17. Jahrhundert zu sehen. Das Haus wurde bis 1635 für Sir Thomas Holte erbaut und befand sich später im Besitz von James Watt Junior. Angeblich spuken gleich mehrere Geister herum, darunter der einer Tochter von Holte, die er 16 Jahre einsperrte, weil sie sich weigerte, den von ihm ausgewählten Mann zu heiraten. Gleich nebenan wurde auf einem Teil der ehemaligen Gärten das neue Stadion des Premier League Clubs Aston Villa hingepflanzt.

Ausflüge außerhalb des Stadtzentrums

Rund um Birmingham gibt es noch eine ganze Menge mehr zu entdecken. Ein Pilgerziele für Tolkien-Fans ist die Wassermühle Sarehole Mill am Fluss Cole, die im Rahmen geführter Touren besucht werden kann. J.R.R. Tolkien lebte als Kind mehrere Jahre direkt neben der Mühle und verewigte sie später als Mühle in seinem fiktiven Hobbiton in Mittelerde. Der langgezogene grüne Parklandschaft, die dem Verlauf des Cole folgt, heißt heute ganz offiziell Shire Country Park.

Etwa 20 Kilometer westlich von Birmingham liegt bei Dudley das Black Country Living Museum, ein mit Beamish vergleichbares Open Air Museum. Nicht nur für Familien mit Kindern hält Birmingham eine weitere sehr beliebte Attraktion bereit: Cadbury World, eine Mischung aus Ausstellung, Museum und Freizeitpark des bekanntesten englischen Schokoladenherstellers überhaupt. Schon beim Rundgang merkt man, wie sich mehrere Pfund zusätzlich auf den Hüften niederlassen. Beide Ziele werden noch ihre eigenen Seiten erhalten.

Und was noch so?

Wie die meisten alten Industriestädte hat sich auch Birmingham in den letzten Jahren eine Frischzellenkur verordnet. Besonders gut lässt sich dies an den alten Kanälen im Gas Street Basin und Brindleyplace (im Beitragsbild zu sehen) verfolgen. In der Broad Street tobt das Nachtleben. Dazu entstanden hier neue Attraktionen wie Legoland, ein Sealife Aquarium und die National Indoor Arena, die größte Veranstaltungshalle der Stadt.

Als neuestes Trendviertel gilt Digbeth, wo in alten Fabriken und Industriehallen coole neue Geschäfte und Bars eingezogen sind. NQ64 hält etliche klassische Arcade Spielautomaten bereit. Wer es moderner mag, besucht die Virtual Reality Experience „In a Box, In a Box, In a Box“.

In den letzten Jahren erlebte Birmingham einen popkulturellen Boom dank der Fernsehserie Peaky Blinders über die Gangsterfamilie Shelby, die im frühen 20. Jahrhundert die Stadt beherrschte. Natürlich gibt es längst Peaky Tours zu einigen Schauplätzen, bei denen Fans einiges über die historischen Vorbilder der Shelbys und die Bandenkriege der Zeit erfahren.

Der Weg nach Birmingham

Aufgrund der zentralen Lage in den Midlands ist Birmingham von überall her gut zu erreichen. Der Flughafen der Stadt wird von Deutschland aus direkt angeflogen. Von dort geht es dann leicht mit dem Zug weiter.

Der Zug ist auch das beste Verkehrsmittel, um von anderen englischen Städten aus ins Stadtzentrum zu gelangen. Der Hauptbahnhof heißt Birmingham New Street und liegt direkt neben der riesigen Shopping Mall Bullring. Hier gibt es auch eine große Auswahl Hotels vom schlichten Travelodge bis zum Radisson Blu im Beetham Tower mit seiner beeindruckenden Fassade.

Und zuletzt… Birmingham wird von den Einheimischen Brum genannt. Sich selbst und ihren Dialekt bezeichnen sie als Brummies. Das Wort Brum leitet sich von Brummagem ab, einer alternativen mittelalterlichen Schreibweise von Birmingham. Das Klischee kennt den Brummie als eher tumben Klotz und der Dialekt hat dort den gleichen Status wie hier das Sächsische. Seit einiger Zeit entwickelt sich jedoch ein gewisser Lokalstolz auf die Bezeichnung Brummie.