Die meisten Menschen kennen Dover nur als Ankunftsort der Fähren vom Festland. Einmal auf trockenem Boden rauschen sie sofort auf die M2 oder M20 Richtung London und andere englische Regionen. Dabei lohnt es sich, der Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Tor zur britischen Insel
Dover liegt an der engsten Stelle des Ärmelkanals nur 33 Kilometer vom französischen Cap Gris Nez entfernt. Da die Überfahrt von Calais lediglich 90 Minuten dauert, ist sie für Reisende mit dem Auto ebenso wie für Spediteure die beliebteste Route. Daneben besteht eine weniger bekannte Fährverbindung zwischen Dover und Dünkirchen (Dunkerque).
In der Frühzeit gab es an dieser Stelle noch eine Landverbindung, über die die ersten Menschen auf die heutige britische Insel strömten. Das Ende der letzten Eiszeit führte dazu, dass sich die dort existierende Talsenke mit Wasser füllte und Großbritannien vor etwa 7000 Jahren vom Kontinent abschnitt. Dover entwickelte sich seither aufgrund seiner Lage zu einem der ersten und wichtigsten Handelsposten.
Die Römer gründeten hier den Hafen Portus Dubris, einer der drei römischen Häfen, von denen die wichtigste Römerstraße Richtung Londinium (London) führte. Den Römern folgten die Angelsachsen, die Wikinger und schließlich die Normannen. Im 7. Jahrhundert entstand das erste Kloster von Dover, das heute nur noch in Form des Bahnhofs Dover Priory erhalten geblieben ist. Im 11. Jahrhundert wurde Dover Castle zum Schutz des Hafens und zur Überwachung des Ärmelkanals angelegt.
Dover als Teil der Cinque Ports
Trotz des französischen Namens befinden sich die fünf Häfen alle an der englischen Südküste. Der Name stammt von den französischen Normannen, die England im 11. Jahrhundert eroberten. Sie verpflichteten die fünf ausgewählten Städte, jährlich 57 Schiffe für die Krone bereit zu stellen. Dafür durften sie Profite von Zöllen, Steuern und Strandfunden für sich behalten.
Aufseher über diese Häfen war der Lord Warden of the Cinque Ports, der in Dover Castle residierte und gleichzeitig den Titel Constable of Dover Castle trug. Das Amt des Lord Warden gibt es übrigens auch heute noch, aktueller Inhaber ist Admiral Lord Boyce.
Dank der königlichen Privilegen und des Handels war Dover stets ein relativ wohlhabender Ort. Einen weiteren Boom erlebte die Stadt im 19. Jahrhundert mit der Ankunft der Eisenbahn, die das Reisen Richtung Kontinent erheblich erleichterte. Berühmt war der Golden Arrow, ein Luxuszug, der von London nach Dover fuhr. Hier stiegen gut betuchte Passagiere auf eine First-Class-Fähre um und in Calais auf den französischen Fleche d’Or-Zug, der sie nach Paris brachte.
Dover heute
Im Zweiten Weltkrieg wurden Dover und sein Hafen aufgrund der strategischen Lage durch deutsche Bombardements stark zerstört. Seither tut sich die Stadt wirtschaftlich eher schwer und wirkt bei der Ankunft erstmal wenig einladend. Obwohl der Hafen noch immer der mit Abstand wichtigste Fährhafen für England ist, hat er doch mit Eröffnung des Eurotunnels bei Folkestone an Bedeutung verloren. Der beliebte Butterfahrten-Tagestourismus, bei dem Engländer scharenweise zu günstigen Einkäufen in Calais einfielen und am gleichen Tag zurückfuhren, ist heute auch nicht mehr so gefragt wie einst.
Selbst die viel besungenen White Cliffs of Dover sind längst keine so großen touristischen Magneten wie die Kreidefelsen der Südküste weiter westlich. Die meisten Besucher sind Tagestouristen aus der Region oder Reisende, die in Dover einen Zwischenstopp auf dem Weg zum Festland einlegen.
Ein Manko ist zweifelsfrei die Abwesenheit schöner Strände. Zwar besitzt Dover einen eigenen Stadtstrand, doch zwischen Fähren, Frachtschiffen und Kreuzfahrtschiffen will sich nicht wirklich Urlaubsatmosphäre einstellen und ins Wasser gehen hier nur wirklich Schmerzfreie. Eine Zwischenübernachtung ist die Stadt jedoch auf jeden Fall wert.
Dover Castle
Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist die mächtige mittelalterliche Burg Dover Castle, die über der Stadt thront und neben Windsor Castle als größte Burg von England gilt. Sie ist Symbol für die strategische Bedeutung von Dover und den immerwährenden skeptischen Blick der Insulaner in Richtung Kontinent. Ihre ältesten Teile sind die angelsächsische Kirche St Mary in Castro und der römische Leuchtturm, einer der letzten drei römischen Leuchttürme weltweit.
Im Herzen der Anlage befindet sich die mittelalterliche Burg von Henry II, The Great Tower. Hier wurden einige Zimmer rekonstruiert und vermitteln ein Bild von der überraschend farbenfrohen Lebensweise der Normannen im 12. Jahrhundert.
Viel spannender sind jedoch die Tunnel, die unterhalb der Burg in die Kreidefelsen gegraben wurden. Diese wurden schon im Mittelalter genutzt und dienten im zweiten Weltkrieg als Kommandozentrale der britischen Marine, sowie als Luftschutzbunker für die Bevölkerung. Von hier wurde die legendäre Operation Dynamo gesteuert, die Evakuierung britischer und französischer Soldaten aus Dünkirchen. Neben diesen Räumen ist das unterirdische Lazarett zu sehen, in dem Ärzte und Pflegepersonal rund um die Uhr operierten.
Eine weitere Station auf dem Geländer ist der Fire Command Post aus dem ersten Weltkrieg mit einer der letzten Abwehrkanonen, mit denen die britische Armee ab 1915 auf deutsche Zeppeline und Doppeldecker schoss. In den Sommermonaten wird sie täglich zur Demonstration abgefeuert.
Weitere Sehenswürdigkeiten in Dover
Alleine für Dover Castle sollte mindestens ein halber Tag eingeplant werden. Sehenswert ist auch das Dover Museum, in dem die Reste eines Bootes aus der Bronzezeit zu sehen sind. Das Museum erzählt die Geschichte der Stadt von der frühen Besiedlung bis heute. Eine eigene Ausstellung ist den Kanalschwimmern gewidmet, die seit 1870 den Ärmelkanal zwischen Dover und Calais durchschwommen haben.
Westlich der Innenstadt befinden sich die meist ignorierten Ruinen eines zweiten Forts, auf dem die Römer einst einen zweiten Leuchtturm (The Bredenstone) errichtet hatten. Im Vergleich zu Dover Castle machen die Zitadelle und das Drop Redoubt zwar nicht so viel her, doch dafür bietet sich von hier eine tolle Aussicht über die Stadt und den Hafen mit Dover Castle im Hintergrund.
The White Cliffs of Dover
Für englische Rückkehrer vom Kontinent sind die weißen Kreidefelsen von Dover das erste, das sie von der Fähre aus von der Heimat sehen. Bei klarer Sicht ist die englische Küste sogar von Frankreich aus zu sehen. Entsprechend groß ist die symbolische Bedeutung dieses Küstenstreifens, der im zweiten Weltkrieg von der Sängerin Vera Lynn als „There’ll be Bluebirds over the White Cliffs of Dover“ besungen wurde. Als 2017 Gerüchte aufkamen, dass private Investoren Land an den Klippen kaufen wollte, führte Vera Lynn zu ihrem 100. Geburtstag eine Kampagne an, die innerhalb von drei Wochen genug Geld sammelte, um die 0,7 Quadratkilometer selbst zu kaufen.
Die legendären White Cliffs lassen sich auf beiden Seiten von Dover zu Fuß erkunden. Östlich von Dover Castle beginnt der Dame Vera Lynn Way, der oberhalb des Hafens an der Küste entlang zur Saint Margaret’s Bay führt. Hier laden mehrere nette Lokale vor dem Rückweg zu einer Stärkung ein, zum Beispiel der hübsche Pines Garden Tea Room.
Fast noch interessanter ist der Wanderweg westlich von Dover zum Samphire Hoe Country Park. Dieser Park entstand durch die Ausgrabungsarbeiten für den Kanaltunnel, bei denen 4,9 Millionen Kubikmeter Erde und Kreide irgendwo abgelegt werden mussten. Besucher können entweder die Wanderwege im Park nutzen oder den oberhalb verlaufenden Küstenweg, der hier weiter bis Folkestone verläuft. Für die knapp 15 Kilometer in die Nachbarstadt sollten Wanderer mit Pausen etwa drei Stunden einplanen.
Der Weg nach Dover
Theoretisch ist es kein Problem, den Besuch von Dover als Tagesausflug von London aus zu organisieren. Dies dürfte vor allem für Urlauber interessant sein, die nicht ohnehin mit dem Auto und der Fähre anreisen. Die regulären Züge brauchen etwa zwei Stunden für die Fahrt, die schnellen Javelin Trains von Southeastern Railways ab St. Pancras nur etwas mehr als eine Stunde. Bei rechtzeitiger Reservierung sind Tickets für die Schnellzüge schon ab £14.00 für die einfache Strecke zu haben. Wanderer können nach Dover fahren und später von Folkestone wieder zurück oder umgekehrt.
Da es im südöstlichsten Zipfel von England noch viele weitere interessante Orte zu entdecken gibt, lohnt es sich jedoch, einige Tage in Kent einzuplanen. Gleich nebenan in Deal wartet bereits ein toller Sandstrand und auf halber Strecke nach London Canterbury mit seiner berühmten Kathedrale.
Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in Dover viele, allerdings sind es meist eher Hotelketten mit zweckmäßigen Zimmern wie Travelodge und kleinere B&Bs. Schönere Unterkünfte gibt es außerhalb des Zentrums in Richtung Deal, zum Beispiel das Lantern Inn aus dem 17. Jahrhundert in Martin Mill, das genauso aussieht, wie man sich einen uralten gemütlichen englischen Gasthof vorstellt.
1 Gedanke zu „Dover: Mehr als ein Hafen“
Kommentare sind geschlossen.